Die Rache des hageren Mannes

Ottmar Hitzfeld will nicht Bundestrainer werden. Sagt er. Aber: Muss man ihm das glauben? Vieles spricht dafür, dass Hitzfeld doch noch Bundestrainer wird. In zwei, drei Monaten. Nur: Ob Gerhard Mayer-Vorfelder dann noch DFB-Präsident ist?

VON ANDREAS RÜTTENAUER
UND THOMAS WINKLER

Seit das schwedische Trainergespann Lars Lagerbeck/Tommy Söderberg im Viertelfinalspiel gegen die Niederlande dem Stürmer Kim Kallströn kurz vor dessen Einwechslung in der 81. Spielminute einen dicken Leitz-Ordner mit taktischen Anweisungen unter die Nase gehalten hat, weiß die interessierte Öffentlichkeit, dass im modernen Fußball nichts dem Zufall überlassen wird. Auf dem Spielfeld ebenso wenig wie hinter den Kulissen. Dazu mag die Bauchentscheidung Otmar Hitzfelds, das Traineramt bei der deutschen Nationalmannschaft, für das er sich ja höchstselbst beworben hatte („logische Konsequenz“), dann doch nicht antreten zu wollen, so gar nicht passen. Aber war es überhaupt eine Bauchentscheidung? Mit seinem Verhalten hat Meistertrainer Hitzfeld den DFB-Präsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder derart ins Straucheln gebracht, dass es schwer fällt zu glauben, was beide nicht müde werden zu versichern: „Wir haben ein freundschaftliches Verhältnis.“

Dieses Verhältnis war in der Vergangenheit mitnichten so freundschaftlich, wie die beiden nun glauben machen wollen. Zweimal bereits haben sich die Herren Hitzfeld und Mayer-Vorfelder in die Wolle gekriegt. Als der vormalige Präsident des VfB Stuttgart den damals in der Schweiz tätigen Trainer für den VfB verpflichten wollte, setzte er einmal die Mär in die Welt, ein Engagement sei an der zu hohen Ablösesumme gescheitert. Ein anderes Mal behauptete er, die Gehaltsforderungen Hitzfelds seien zu hoch gewesen. Dabei wäre Hitzfeld gerne zum VfB zurückgekehrt, für den er einst auf Torejagd gegangen war. Doch daraus wurde nichts. Hitzfeld musste klein beigeben, hielt aber still, „weil man sich mit diesem Mann nicht anlegen kann, wenn man im deutschen Fußball nach oben will“, sagte er damals. Zwei Jahrzehnte, sechs Meister- und zwei Champions-League-Titel später ist Hitzfeld da angekommen, wohin er damals wollte – ganz oben. Vor einem Mayer-Vorfelder braucht Hitzfeld nun wahrlich nicht mehr zu kuschen. Sind es also Rachegedanken, die Hitzfeld bewogen, Mayer-Vorfelder erst tagelang in Sicherheit zu wiegen und dann doch abzusagen? Durch Hitzfelds Verhalten ist der DFB-Präsident derart geschwächt worden, dass sogar ein Putsch unter der Führung eines so braven Mannes wie Theo Zwanziger, dem Schatzmeister des Fußballbundes, nicht mehr unwahrscheinlich ist. Zwanziger, vielerorts bereits als designierter MV-Nachfolger gehandelt, zeigte sich in der Tat und vor allem in aller Öffentlichkeit alles andere als begeistert von der Amtsführung des Präsidenten. Vor allem die Informationspolitik Mayer-Vorfelders hat bei Zwanziger für „erhebliche Irritationen gesorgt“, wie er der Frankfurter Rundschau mitteilte. Die Kritiker im Präsidium formieren sich hinter dem Schatzmeister.

Der Plan, Mayer-Vorfelder aus dem Amt zu jagen, könnte durchaus gelingen. Schon im Jahre 2002 während der WM in Japan und Südkorea, so will dieselbe Zeitung erfahren haben, habe sich die innerste Führungsriege des DFB mit der verheerenden Außendarstellung des Präsidenten befasst und den Entschluss gefasst, den feudalistisch amtierenden Präsidenten zu entmachten. Nur weil die Deutschen vor zwei Jahren überraschend Vizeweltmeister wurden, sind die Diskussionen um eine Ablösung Mayer-Vorfelders seinerzeit nicht weitergeführt worden. Nach dem EM-Aus von Portugal und vor allem nach dem Rücktritt Rudi Völlers ist die öffentliche Meinung nun formbar. Das weiß auch Hitzfeld. Und auch, dass er dabei die besseren Karten hat.

Der Wunschtrainer aller Experten im Lande weiß zudem mächtige Verbündete an seiner Seite. Noch nämlich ist Hitzfeld vertraglich an den FC Bayern gebunden, Franz Beckenbauers FC Bayern. Wer die Auftritte von Mayer-Vorfelder in den vergangenen Wochen verfolgt hat, der dürfte sehr wohl Verständnis für die Sorgen haben, die sich Beckenbauer machen muss, wenn er an die Weltmeisterschaft 2006 denkt. Es ist seine WM, die er im Alleingang nach Deutschland geholt hat, die WM, die den krönenden Abschluss eines Lebenswerks bilden soll. Da kann er einen nuschelnden Verbandspräsidenten, dessen Alkoholfahne jeder glaubt riechen zu können, der ihn nur im Fernsehen sieht, so gar nicht gebrauchen. Zudem kann niemand von einem Kaiser verlangen, dass er neben sich einen Sonnenkönig duldet, der sich nebst Gattin Margit und den Kindern Marc, Michael und Miriam im Mannschaftshotel des DFB einquartiert, um sich im Scheinwerferlicht all der Pressevertreter zu sonnen, die eigentlich gar nicht wegen ihm gekommen sind. Nachdem der Leverkusener Einfluss auf die Nationalmannschaft marginalisiert werden konnte, steht nur mehr der greise Schwabe einer bayerischen Komplettunterwanderung des DFB entgegen. Die Entmachtung Mayer-Vorfelders könnte in diesem Sinne Hitzfelds letzter Job im Auftrag des FC Bayern gewesen sein.

Ist der erst mal erledigt, kann sich Hitzfeld doch noch seinen großen Traum erfüllen. Der ist, wie sein langjähriger Weggefährte, Dortmunds Manager Michael Meier, zu wissen glaubt, das Amt des Bundestrainers ausüben zu dürfen. Am 18. August tritt die deutsche Nationalmannschaft zum ersten Länderspiel nach dem Völler-Rücktritt in Wien gegen Österreich an. Bis dahin muss noch eine Übergangslösung gefunden werden (Skibbe, Stielike, Rutemöller?). Nach der Sitzung des DFB-Bundestages im Oktober könnte der neue DFB-Präsident Theo Zwanziger heißen und Hitzfelds „Akku“ wieder aufgeladen sein. Am 17. November in Leipzig könnte Hitzfeld als neuer Bundestrainer die Mannschaft dann das erste Mal betreuen. Die Rechnung des hageren Mannes wäre aufgegangen. Endlich könnte er sich wieder mit dem Spiel auf dem Rasen befassen und dicke Taktikmappen zusammenstellen.